Manchmal frage ich mich, was die vielen Angestellten in einer Verwaltung den ganzen Tag so machen. Wenn zum Beispiel in Hamburg irgendjemand in seinem/Ihrem Büro sitzt und sich überlegt, dass es vielleicht ganz lustig werden könnte, drei Großveranstaltungen an einem Wochenende parallel stattfinden zu lassen. Zwei davon an einem Abend, direkt nebeneinander, mit absolut unterschiedlichen Fangruppen. Ich finde das schon erstaunlich. Die Auswirkungen dieser innovativen Idee waren sehr vielfältig.
Das Hafenfest, ein HSV-Heimspiel, mit der Aussicht auf den sehnsüchtig erhofften Wiederaufstieg in die erste Bundesliga und noch ein Roland Kaiser Konzert waren selbst für eine Großstadt wie Hamburg vielleicht ein bisschen zu viel. Für alle, die sich nicht genau mit den örtlichen Gegebenheiten auskennen: Das Volkspark-Stadion (HSV) und die Barclays-Arena (Roland Kaiser) liegen direkt nebeneinander. Also wirklich direkt nebeneinander. Deshalb erfolgt die Anfahrt auch über die gleichen Wege/öffentlichen Verkehrsmittel. Das Ergebnis: Völlig überfüllte S-Bahnen und Busse. Das alleine ist schon nicht sonderlich prickelnd. Die Kombination aus bereits deutlich angeheiterten Fußballfans in kompletter Fankleidung auf der einen Seite und Fans in Roland Kaiser Montur und Piccolo-Fläschchen in der Hand auf der anderen Seite war doch schon sehr speziell.
Als wäre diese Mischung noch nicht schlimm genug, kommt noch mein Mann dazu. Als ewiger FCK Fan sind ihm die Phasen großer Tristesse bestens bekannt und er kann somit mit den HSV-Fans mitfühlen. Zum anderen hat er die unangenehme Eigenschaft in voll besetzten Züge immer wieder Roland Kaiser-Hits anzustimmen. Natürlich war er mit den HSVlern schnell im Gespräch und die Fachsimpelei begann. Nur leider drückten sich noch einige angeheiterte Damen in Roland-Outfits in die S-Bahn. Jetzt gab es kein Halten mehr. “Manchmal möchte ich schon mit dir diesen unerlaubten Weg zu Ende gehen“, stimmte er an. Die angespannte Stimmung im Zug löste sich. Erstaunte Blicke überall. Mein Mann hat Nerven. Er legte lautstark nach. “Manchmal möchte ich so gern mit dir Hand in Hand ganz nah an einem Abgrund stehen, wenn ich dich so seh, vor mir seh”. Es kam was kommen musste, die Ladies stimmten mit ein und nicht nur die. Offenbar waren doch einige Kaiser Fans im Zug. Fassungslosigkeit bei den HSV-Fans. Sie konterten mit “HSV HSV” Gesängen, jedoch nicht allzu lange. Mein Mann war jetzt auf Betriebstemperatur. “Weil du mich liebst ist der Tag wieder Leben für mich. Weil du mich brauchst, ist die Nacht wieder lieben für mich. Was du mir gibst, hab ich niemals zu träumen gewagt. Du hast in mir ein erloschenes Feuer entfacht”. In den Refrain stimmten jetzt erschreckend viele mit ein. “Dich zu lieben, dich berühren. Mein Verlangen dich zu spüren. Deine Wärme, deine Nähe weckt die Sehnsucht in mir auf ein Leben mit dir”.
Klassische Lagerbildung, Autogrammwünsche und Ekstase im Kaiserlager, entsetzte HSV Ultras auf der anderen Seite. Wie auch immer, die Stimmung war jetzt top, von Anspannung keine Spur mehr. Die ersten wollten nun die Karten und Fanartikel tauschen, natürlich nicht ganz ernst gemeint. Die HSV Fans direkt neben uns sprachen sich dafür aus, dass es zukünftig nur noch Heimspiele mit gleichzeitigen Roland Kaiser Konzerten geben sollte. Eine etwas ältere Dame hatte doch tatsächlich eine JBL-Box dabei und so konnte das gesamte Zugabteil (soweit möglich aufgrund des Platzmangels) mitschunkeln. Mit “Warum hast du nicht nein gesagt?” ging es weiter. Wie sage ich bereits seit Jahren? Man kann meinen Mann nirgends mit hinnehmen!
Am Stadion angekommen waren auffällig viele Männer in HSV-Montur bei uns im Roland Kaiser-Konzert. Im Scherz sagte ich zu meinem Mann, dass diese Herren bestimmt von ihren Frauen erzählt bekommen haben, dass sie zum Spiel gehen und mussten dann doch mit auf die rechte Seite in die Barclays-Arena. Die Idee fand ich ganz witzig. Bis ich mich irgendwann mit zwei Herren unterhalten habe, die sehnsüchtig auf das Volkspark-Stadion schauten. Ihnen war genau das passiert. Ihre Frauen haben sie unter dem HSV-Vorwand zu Roland Kaiser geschleppt. Einer meinte: “Ist eigentlich ein Scheidungsgrund”.
Wie auch immer, der Abend mit Roland war, wie immer, toll und der HSV ist wieder aufgestiegen. Zum Glück, aus mehreren Gründen. Erstens gehört der HSV, genau wie der FCK, aufgrund seiner Geschichte und seiner Fan-Macht in die erste Bundesliga und zweitens möchte ich nicht darüber nachdenken, was passiert wäre wenn sie verloren hätten…Herzlichen Glückwunsch HSV! Wir freuen uns mit Euch und danke für die unvergessliche S-Bahnfahrt.