Mein Mann und ich befinden uns auf der Rückfahrt von Berlin nach Koblenz. Mit dem Zug. Genauer gesagt mit dem ICE. Bisher läuft alles gut. Die Hinfahrt war ein bisschen aufregender.
Zu unserer großen Überraschung kam der ICE pünktlich. Weniger überraschend war für uns die Tatsache, dass wir nach der Hälfte der Fahrtzeit bereits 59 Min Verspätung hatten. Mein Mann freute sich sehr. Schließlich fuhr der Zug überhaupt, es gab einen Lokführer und die Klimaanlage funktionierte.
Nur eine Stunde Verspätung ist heutzutage als nahezu pünktlich zu werten.
Unser Zug konnte natürlich nichts für die Verspätung. Ein technischer Defekt unseres Triebwagens machte eine Drehung auf der Kölner Südbrücke nötig, sodass ein Tausch vorgenommen werden konnte. Das konnte nun wirklich niemand einplanen. Auch der Defekt eines weiteren ICEs, dessen Fahrgäste nicht so viel Glück hatten und nun umsteigen mussten, konnte niemand voraussehen. Diese Fahrgäste wurden nämlich in unseren bereits gut gefüllten ICE mit aufgenommen. Deshalb kam direkt die Durchsage, dass man doch bitte alle freien Plätze wirklich frei räumen sollte, damit sich möglichst viele Menschen setzen können. Neben dem humanitären Aspekt spielte die Sicherheit offenbar auch eine Rolle. Solange die Gänge nicht frei zu durchqueren waren, konnten wir auch nicht weiterfahren.
Nachdem eine weitere Durchsage die verspätete Verfügbarkeit des Bordbistros mit den verlockenden Worten:” Meine charmanten Kollegen erwarten Sie dort.” angekündigt hatte, wollte ich diese charmanten Damen und Herren doch mal kennenlernen. Ich wollte mir nur kurz einen Cappuccino holen. Zum Glück war ich bereits kurz vor Bielefeld auf die Idee gekommen. Wäre ich auch nur etwas später gegangen, wäre ich vor der Ankunft in Berlin wahrscheinlich nicht zurück am Platz gewesen.
Erste Erkenntnis: Gepäckablagen sind in Wirklichkeit Fahrgäste-Ablagen, unter und auf denen man problemlos liegen kann. Zweite Erkenntnis: ICEs können sehr wohl auch mit zugestellten Gängen fahren. Dritte Erkenntnis: Kaffeeautomaten in ICEs funktionieren, wenn man mit der Hand kräftig dagegen schlägt. Vierte Erkenntnis: Die Dame und der Herr im Bordbistro waren definitiv nicht charmant, dafür aber sehr, sehr, sehr langsam. Das wiederum führte mich zu Erkenntnis Nr. 5: Mein Mann ist nicht der Richtige, wenn es darum geht, anderen Mitfahrenden klar zu machen, dass der Platz neben ihm durch mich eigentlich besetzt ist (wiederholt, andauernd), obwohl ich eine gefühlte Ewigkeit für einen Cappuccino unterwegs war. Und schon gar nicht, wenn manche Menschen ihm nicht direkt glauben. Aber egal, seine Laune war trotzdem noch gut.
Durch seine vielen, vielen Bahnfahrten über die Jahre ist er abgehärtet. Neben den üblichen Ausfällen oder Verspätungen im “normalen” Rahmen hatte er schon Mal eine 8-stündige Verspätung mit Übernachtung im Fernbahnhof Frankfurt, war in einem stockfinsteren Tunnel mit dem Zug liegen geblieben, der zudem auch keinen Strom mehr hatte, somit alles doppelt dunkel. Ein anderes Mal musste er auf freiem Feld den Zug wegen eines Brandes verlassen. Legendär war auch jene Durchsage, dass sich die Abfahrt aufgrund fehlender Fahrplanunterlagen verzögerte. Lautstarke Telefonate anderer Mitreisender ertragen zu müssen, trotz Ruheabteil, heutzutage Standard. Ein echtes Highlight hingegen waren übergelaufene Toiletten, deren Inhalt (groß und klein) sich auf den Gängen verteilte. Jugendliche, die ihre Füße nebst Schuhen auf den Sitzen ablegen und auf freundliche Hinweise absolut nicht reagieren. Ebenfalls Standard. Hinweise jedweder Art können sie ja auch gar hören, Generation Dauerbeschallung des Trommelfells.
Es ist also immer eine Frage des Blickwinkels. Insofern war die Fahrt doch ein wahres Vergnügen.
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